Eine spannende Talkrunde über die Schwierigkeiten sinnvoller Hilfen in der globalen Welt

Gespräch und Diskussion mit Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international.

Im August 2018 erschien der von Thomas Gebauer und Ilija Trojanow verfasste Band Hilfe?Hilfe! Wege aus der globalen Krise. Über das Buch, über die Kritik an den Hilfesystemen für die armen Länder des Südens, aber auch über Lösungsansätze sprachen Studierende des Seminars Soziale Bewegungen und Selbstorganisation, geleitet von P.-E. Jansen, M.A. Philosophie, mit dem Verfasser.

Vor mehr als siebzig, nicht nur hochschulzugehörigen Zuhörerinnen und Zuhörern, leitete Jansen die Veranstaltung mit der Vorstellung des Referenten und dessen langjährigen Engagement für Friedens- und Unterstützungsprojekte in den Krisengebieten der Welt ein. Im Jahr 1997 erhielt Gebauer den Friedensnobelpreis für die mit Bobby Muller ins Leben gerufene Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL).

Die Studierenden Lea Klumpe, Nicola Löwen und David Schaber hatten sich während des Seminars mit dem Band beschäftigt. Sie stellten Fragen zu Gebauers Reise durch fünf Krisengebiete der Erde. (Mexiko, Pakistan, Kenia, Sierra Leone, Guatemala). Anschaulich und illustrativ beantwortete er die Fragen nach positiven und negativen Erlebnissen seiner Begegnungen und Initiativen. Als funktionierendes Beispiel eines erfolgreichen Projekts beschrieb der studierte Psychologe ein autonomes Gesundheitszentrum, das von Ärzten und Krankenschwestern der Zapatista in Mexiko aufgebaut wurde und betrieben wird. „Hier kümmern sich das medizinische Personal ganzheitlich, präventiv und nicht nur kurativ um die Patienten.“ Das ermögliche eine wesentlich effektivere und beständigere Gesundheitsversorgung als in vielen staatliche Krankenhäusern. Denn, so fasst Gebauer seine Kritik zusammen: „Ein Staat, der nicht funktioniert, verteilt punktuell Almosen. Hilfe erweist sich als kleine Münze des sozialen Scheiterns“.

Eine weitere Reisestation war Pakistan. Bekannt ist der katastrophale Brand in einer Textilfabrik 2012 in Karachi. Es starben 259 Näherinnen. Erst nach drei Tagen konnte der Brand der 6000 m2 große Textilfabrik mit rund 10 000 Beschäftigten gelöscht werden. Angesprochen auf dieses Ereignis erläuterte Gebauer am Beispiel der Textilindustrie die enge Verstrickung der reichen Wohlstandsstaaten mit den armen Ländern des Südens. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn dort Qualitätskontrollen zu den per Hand eingeritzten „gleichbleibenden Rissen in den Jeans“ durchgeführt würden, aber soziale Rahmenbedingungen für die Näherinnen keine Rolle spielten. Kein Unfall, keine „Höhere Gewalt“ sei Ursache des Brandes gewesen, wohl aber kriminelle Sicherheits- und Produktionsbedingungen, unter denen täglich 70 000 Jeans und Röcke für westliche Billigkaufhäuser produziert werden, fügt Gebauer an. „Qualitätskontrollen gab es zwar für die Produkte, aber nicht für die Arbeitsbedingungen.“

Auf Nachfragen der Studierenden, was er denn unter den „falschen Strategien“ der Entwicklungshilfe verstehe, verwies er auf die Gefahr einer Entpolitisierung von Hilfe, wenn diese aus rein caritativen Zwecken geschehe und auf der Privatisierung von staatlich verbriefter Existenzsicherung beruhe. Das sei ein Dilemma in dem sich auch viele NGOs befänden. Sie können Herrschaftsverhältnisse unterminieren, aber auch stabilisieren, wenn sie etwa Defizite staatlichen Handelns kompensieren. Weder über kirchliche, noch über NGOs sei Hilfe als verbrieftes Recht einklagbar. Das sei das wesentliche Manko dieser Hilfsstrukturen. Eine Kampagne für globale soziale Rechte und Rechtsgarantien müsse von nichtstaatlichen Hilfesystemen initiiert werden. Ziel könnte eine Neujustierung von Handelsabkommen zugunsten der armen Länder und eine Mobilisierung der Bevölkerungen von unten („Graswurzelmobilisierung“) sein.

Auf die Frage, welche Rolle denn die Soziale Arbeit angesichts der internationalen Krisen, auch der Hilfesysteme, spielen könne, betonte der Referent die notwendige internationale Vernetzung Sozialer Arbeit. Die globalen Zusammenhänge ließen kaum noch Spielraum für eine rein „national-beschränkte“ Soziale Arbeit. Sowohl hier, als auch für die Länder des Südens, könne sie sich für kooperative, solidarische und genossenschaftliche Lösungen einsetzen und Lernprozesse initiieren, die nicht nur auf „Spenden hier“ und „Helfen dort“ beruhen, sondern auf der Einsicht, dass die Veränderung von Denk- und Lebensweisen hier für die Veränderung von sozialen Beziehungen und Strukturen wichtiger sind, als die Orientierung an Wachstum, Luxus und Konsum. (pej)