Fachtagung "Was für Zustände"

In diesem Jahr werden ca. 100.000 Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen meist die so genannten „unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“ (umF), die ohne Eltern und Familie allein kommen. Eine Fachtagung des Institutes für Forschung und Weiterbildung an der Hochschule Koblenz machte auf die Situation aller Flüchtlingskinder aufmerksam und zeigte Perspektiven aber auch Notwendigkeiten für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland auf.

Über 200 Fachleute aus Jugendämtern, Wohlfahrtsverbänden und Hochschulen verfolgten die Vorträge und die Podiumsdiskussion im überfüllten Hörsaal.

Auf die Situation in den Herkunftsländern und die Gründe, sein Heimatland zu verlassen und die Notwendigkeit, die Menschenrechte gerade auch für Kinder und Jugendliche zur Geltung zu bringen wiesen der Präsident der Hochschule, Prof. Dr. Kristian Bosselmann-Cyran und der Dekan des Fachbereiches Sozialwissenschaften, Prof. Dr. Günter Friesenhahn hin. Den inhaltlichen Auftakt mit einem politischen Grußwort machte Prof. Dr. Karin Weiss, Abteilungsleiterin im rheinland-pfälzischen Integrationsministerium. Binnen zweier Jahre habe sich die Anzahl der in Rheinland-Pfalz ankommenden Flüchtlinge vervierfacht, der Landesregierung gehe es darum eine integrierende Ausländer- und Einwanderungspolitik zu betreiben unabhängig vom jeweiligen Status der Menschen. Entgegen der oft gegenteiligen Annahme sei das Bildungsbewusstsein der Flüchtlingsfamilien hoch. Gerade auch die Kinder, die mit ihren Familien nach Deutschland kommen müssen durch Übersetzungsleistungen schon früh eine oft zu hohe Verantwortung für ihre Familien tragen.

Prof. Dr. Kurt-Peter Merk machte auf die komplexen Rechtsnormen nationalen und europäischen Ursprungs aufmerksam, die sowohl sozial- als auch sicherheitspolitisch ausgerichtet seien. Für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gibt es nach Dublin III klare Regelungen, sie müssten von einem fachlich versierten Vertreter in ihren Rechten vertreten werden. Auch daher sei es wichtig, dass Sozialarbeiter ihre Aufgaben selbstbewusst und mit der nötigen Rechtskenntnis zum Wohl der Kinder wahrnehmen.

Aus der Perspektive einer therapeutischen Einrichtung aus Ostholstein berichtete Rüdiger Tuschewski: Für die Kinder mache erst einmal das Fremdsein Angst, unterschiedliche Kulturen führten oft zu Missverständnissen. Eindrucksvoll erläuterte Tuschewski an Beispielen aus seinem Berufsalltag die unterschiedlichen persönlichen, rechtlichen und strukturellen Herausforderungen: „ein interkultureller Austausch ist oft erst möglich, wenn die Jugendhilfe endet“. Eberhard Jänsch-Sauerland vom Deutschen Kinderschutzbund erläuterte die psychosozialen Zusammenhänge: Viele der Kinder hätten Identitätsbeschädigungen erlebt, kämen aus einer Kultur, die im Kontrast zu der deutschen Individualgesellschaft auf das Kollektiv setzen, die Eltern seien selbst durch ihre Erlebnisse in ihrer Erziehungsaufgabe geschwächt. Traumatische Erlebnisse wirkten noch lange nach und bedürfen einer professionell-persönliche Beziehung.

In einer Podiumsdiskussion lotete Prof. Dr. Kathinka Beckmann im Gespräch mit Michael Gutenberger vom Jugendamt des Rhein-Hunsrück-Kreise, Melanie Kößler vom Internationalen Sozialdienst, Carsten Lang pädagogischer Leiter des Jugendhilfezentrums Don Bosco Helenenberg und Rüdiger Tuschewski die Herausforderungen und Grenzen der Kinder- und Jugendhilfe aus. Auch hier müssen laut Lang die Ressourcen der Kinder und Jugendlichen gesehen werden: in seiner Einrichtung profitierten Flüchtlingskinder und die Jugendlichen in den Einrichtungen voneinander.

Sehr differenziert wurde die geplante Umverteilung der unbegleiteten Flüchtlingskinder auf alle Bundesländer diskutiert. Auch hier müsse das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen. Die Podianten wünschen sich von der Politik eine Prioritätensetzung, dass der Familienbegriff nicht so eng gesehen wird und Kinder und Jugendliche eine Sicherheit bekommen, eine Schul- und Berufsausbildung auch in Deutschland abzuschließen, schließlich sollte auch gehört werden, was professionelle Soziale Arbeit zu sagen hat.

Den Abschluss der Fachtagung bildete Karl Kopp von der Hilfsorganisation Pro Asyl. Kopp gab Einblicke in die Situation der Kinder und Jugendlichen an den Außengrenzen der Europäischen Union. So lebten in einem kurdischen Lager 800 jesidische Kinder, die in Syrien verfolgt wurden, sie hätten keine legale Perspektive nach Europa zu kommen. Viele seien doppelt traumatisiert, so sei es in Griechenland und Ungarn üblich, wenn es Kinder denn lebend bis dahin geschafft haben, diese in Gefängnissen unterzubringen. Viele der in Deutschland ankommenden Kinder hätten bereits dort, auf dem Boden Europas, Erfahrungen der Haft, Obdachlosigkeit und Gewalt gemacht. Europa habe trotz aller politischen Absichtserklärungen keinen grenzüberschreitenden Kinderschutz. So sitze Europa das Thema Flucht aus und lasse weiter Flüchtlinge sterben. Dieses Jahr werde vermutlich das tödlichste und dramatischste Jahr in der Flüchtlingsgeschichte.

Fazit der Tagung, so Prof. Dr. Armin Schneider vom Institut für Forschung und Weiterbildung: Alle Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, müssen in ihrer Entwicklung Unterstützung erfahren, es gelte in die Zukunft auch dieser Kinder zu investieren, dazu verpflichteten nicht nur Gesetze sondern auch die Verantwortung für die Zukunft der Gesellschaft.

 

 

Link zum Bericht der Landesschau RLP am 14. April 2015 (hier)