Dr. Wolfgang Kraushaar sprach an der Hochschule Koblenz vor großem Auditorium

„Die Hilflosigkeit des Antipopulismus - Warum der Vormarsch des völkischen Extremismus so schwer zu stoppen ist?“ So lautete der Titel des Gastvortrags, den Dr. Wolfgang Kraushaar von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur kürzlich an der Hochschule Koblenz vor einem großen Auditorium hielt. Nach dem Grußwort von Prof. Dr. Kristian Bosselmann-Cyran, Präsident der Hochschule Koblenz, führte Peter-Erwin Jansen, M.A. Philosophie, Mitbegründer des Hochschulforums und Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Sozialwissenschaften, in den Vortrag ein. Er verwies auf Untersuchungen zum Populismus, die von der Kritischen Theorie bereits in den fünfziger Jahren erarbeitet und dort als „eine umgekehrte Form der Psychoanalyse“ bezeichnet wurden, was meint: bestehende Ängste, Verunsicherungen und Regressionsneigungen werden aufgegriffen und mit dem Zweck systematisch verstärkt, den „Betroffenen“ ihre Lage noch aussichtloser erscheinen zu lassen.

  • Prof. Dr. Kristian Bosselmann-Cyran, Präsident der Hochschule Koblenz, war gerne Peter-Erwin Jansens Einladung gefolgt, ein Grußwort zu sprechen.

  • In den Vortrag führte Peter-Erwin Jansen, M.A. Philosophie, Mitbegründer des Hochschulforums und Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Sozialwissenschaften ein.

  • Jansen verwies auf Untersuchungen zum Populismus, die von der Kritischen Theorie bereits in den fünfziger Jahren erarbeitet

  • Dr. Wolfgang Kraushaar von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur

  • Besondere Bedeutung legte der Referent auf die Analyse dessen, was er als „ethnozentristisches Grundmuster“ bezeichnete.

  • Dr. Wolfgang Kraushaar arbeitete viele Jahre am Hamburger Institut für Sozialforschung mit Arbeitsschwerpunkten zu Protest, Widerstand und Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR, der 68er-Bewegung, Totalitarismus- und Extremismustheorie, Pop-Kultur und Medientheorie.

  • Dr. Wolfgang Kraushaar prophezeit dem Rechtspopulismus eine Konjunktur bis zur Bundestagswahl 2017.

  • Was an aktueller Literatur in den letzten Jahren publiziert wurde, darüber konnten sich die Interessierten an einem von Studierenden zusammengestellten Büchertisch und einer kommentierten Literaturliste informieren.

Dr. Wolfgang Kraushaar, geboren 1948, Politikwissenschaftler arbeitete viele Jahre am Hamburger Institut für Sozialforschung mit Arbeitsschwerpunkten zu Protest, Widerstand und Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR, der 68er-Bewegung, Totalitarismus- und Extremismustheorie, Pop-Kultur und Medientheorie. In seinen zahlreichen Publikationen wirft der ehemalige Adorno-Schüler einen kritisch-analytischen Blick auf die (neuen) sozialen Bewegungen und ihre Akteur*innen.

Der Ausdruck „ein neues Gespenst geht um in Europa“ wird immer wieder bemüht, um das Phänomen des aufkommenden Rechtspopulismus zu beschreiben, darauf wiesen mit Bezug auf den vor einem Jahr verstorbenen Soziologen Helmut Dubiel sowohl Jansen auch Kraushaar in seinem Vortrag hin. Doch, so Kraushaar, dieses Gespenst sei heute global. Die Wahl Donald Trumps habe die Schwächen des Antipopulismus erneut aufgedeckt. „Trumps Erfolg ist eine schmerzhafte Lektion, dass Rechtspopulismus aktuell eine erfolgreiche, politische Strategie ist“, so Kraushaar.

In der Bundesrepublik bezeichnet sich die AFD heute schon als Volkspartei. Das, so Kraushaar werfe Fragen auf: Was ist eine Volkspartei? Ist sie definiert über einen hohen Prozentsatz von Wählerstimmen? Im Grunde ist dieser Begriff eine „Selbstetikettierung“, die zeigen soll: wir vertreten viele, unabhängig von der sozialen Lage. „Volkspartei“ ist auch ein ideologischer Machtbegriff, semantisch und soziologisch bar fester Definition. Daraus ergibt sich ein weiterer begrifflicher Konkurrenzkampf: „Volkspartei oder Protestpartei?“. Werden mit dem ersten Begriff im politischen System Stabilität, Legitimität und eine besondere demokratische Qualität verbunden, so scheint es sich beim Zweiten um ein eher flüchtiges Phänomen zu handeln.

Kraushaar hob drei Merkmale für Protestparteien explizit hervor: Monothematische Zielforderungen, einen bestimmten temporalen Korridor ihres Protests und eine aggressive Abwehrhaltung gegen das sogenannte Establishment. Doch der Versuch, über abwertende Zuschreibungen die AFD als vorübergehendes Phänomen darzustellen, sei gefährlich. Die AFD kann nicht als isoliertes Phänomen betrachtet werden, sondern sie ist Teil eines „Systems kommunizierender Röhren“. Der neuralgische Nexus von populistischem Moment (z.B. die erhöhte Anzahl an Flüchtlingen) und spezifischer Personalsituation der bereits bestehenden Parteienstruktur sollte nicht unterschätzt werden.

Besondere Bedeutung legte der Referent auf die Analyse dessen, was er als „ethnozentristisches Grundmuster“ bezeichnete. Daraus könne Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Nationalismus und Rechtsextremismus entstehen. Eng verbunden damit ist die eingekapselte Selbstbezogenheit einer Gruppe, die sich in ethnischer, religiöser und kultureller Hinsicht gegen andere stellt. Die prekäre Synthese aus der Überbewertung der eigenen Gruppe und der Abwertung anderer Gruppen spricht vor allem Menschen an, die sich als Modernisierungs- und Globalisierungsverlierer empfinden. Die neoliberale Politik hat hier, z.B. durch die AGENDA 2010, ihren Teil dazu beigetragen, dass sich prekäre Existenzen weiter mehren, die nach erfolgter gesellschaftlicher Exklusion in diesen populistischen Gruppen Anschluss und Solidarität zu finden glauben. „Politisch und ökonomisch Abgehängte befördern den Populismus“ und ironischerweise suchen sie Solidarität in einer Partei, die für die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme eintritt“, so der Hamburger Wissenschaftler.

Am Ende seines Vortrags ging der Referent auf eine kürzlich erschienene Studie der Bertelsmann-Stiftung ein. Sie zeige, warum Menschen in Europa Rechtspopulisten wählen: Es sind Globalisierungs- bzw. Integrationsängste. Doch wie begegnen wir der AFD? Gehen wir optimistisch heran und hoffen auf eine Dekonstruktion des Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit oder bieten wir pessimistisch betrachtet, eine Bühne für rechtspopulistische Argumentation? Vielleicht stimmt ja auch die Entgiftungsthese und das Terrain von Rechtspopulisten lässt sich trockenlegen, wenn gegenüber bestimmten Themen von anderen Parteien keine Ressentiments mehr gemacht werden. Es bleibt spannend. Kraushaar prophezeit dem Rechtspopulismus eine Konjunktur bis zur Bundestagswahl 2017. Alles in allem ein facettenreicher und vielschichtiger Vortrag und eine treffende Analyse des (mitunter brand-) gefährlichen Rechtspopulismus.

Im Anschluss an den Vortrag gab es noch die Gelegenheit zu Nachfragen und Diskussion. Was an aktueller Literatur in den letzten Jahren publiziert wurde, darüber konnten sich die Interessierten an einem von Studierenden zusammengestellten Büchertisch und einer kommentierten Literaturliste informieren. (Andrea Kasperzik, P.E.Jansen)